„Ästhetische Spiellust“

Gelungene Spielzeiteröffnung mit „Der Stich“ im Theatrium – LVZ-Kritik vom 14.03.2016

Vom Faust geträumt mag der ein oder andere Oberstufenschüler schon haben, wohl aber noch nie so lustvoll spielerisch, wie „Stich“ in der neuen Inszenierung des Theatriums. Passend zum Motto der Jubiläumsspielzeit „Eine Traumfabrik“ schickt Spielleiter Georg Herberger seinen Faust zusammen mit weiteren zwölf Jugendlichen traumtanzend durch das eigene Drama. Und da man im Traum wie im Theater maximale Freiheit genießt, wird sich diese auch gern genommen: Der goethesche Faust wird zu Stich, auch keine andere Figur behält ihren Namen.

Der Text ist stark gekürzt, mit Indiepopsongs und Fremdtexten aufgefrischt. Klingt nach Regietheater? Aber klar doch, und zwar im besten Sinne. Auf der fast leeren Bühne im mystisch vernebelten Saal stürzen sich die jungen Spieler mit Lust auf modernes Theater, inklusive absichtlicher Brüche und Übertreibungen. Es knistert ästhetische Lust weit vor Inhaltswille, man wagt sich, auf einige bekannte Zitate zu pfeifen, aber dennoch ist der Textremix konsequent komponiert, und „Faust 1“ bleibt nachvollziehbar. Auch die Lust an Sprache bleibt erhalten, der goethesche Reim wird gekaut, bis er süß im Mund liegt.

Hinter einer großen Live-Video-Wand monologisieren allerlei Geister, es wird gesungen und intim verhandelt: Eine besondere Herausforderung an die Mimik der Darsteller, die alle toll meistern. Aber auch die Figuren- und Körperarbeit besticht durch Präzision. Sind sie nicht gerade Hunde oder Tangotänzer, bekommen die Figuren einen modernen Einschlag, von wegen schüchternes Gretchen. Die betrunkenen Studenten haben deutliche Anleihen von Disko-Komatrinkern, peinlich wird es aber nur dann, wenn die Inszenierung es so will: Bei aller Textkürzung wird Helene Fischers „Atemlos“ fast ausgespielt und das Publikum angetanzt.

Wie das im Traum so ist, steckt wenig aktive Leidenschaft im Pyjama-Stich (Paul Hämmerling), der barfuß schlurfend alles staunend auf sich einprasseln lässt, so viel Understatement muss man im drängenden Jugendalter erstmal haben. Ge- und Verführt wird er von Luzifee (Pauline Großmann), die den faustschen Mephisto zum eiskalten Vamp macht.

Nach dem wilden, einstündigen Ritt decken Gott und Teufel (Mama und Papa) den Schlafenden wieder zu. Ein schöner Traum!

Karsten Kriesel


Weitere „Stich“-Vorstellungen im Theatrium (Alte Salzgasse 59) kommenden Freitag (18. März) sowie 12./13. August und 14./15. Oktober, je 20 Uhr; Karten für 7,50/4,50 Euro unter 0341 9413640.


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 14.03.2016