„Weiße Rose“-Inszenierung am Theatrium zeigt eindringlich Parallelen zwischen Drittem Reich und Gegenwart auf – LVZ 20.03.2017
Nach etwa einer Stunde brummt es in Hosen und Taschen. Benimmregeln haben offenbar auch im Theater gegen Schamlosigkeit verloren: In den Rängen leuchten Displays, mitten in der Aufführung lesen und schreiben Zuschauer Nachrichten. Geht’s noch? Ja, es geht – wenn die Einbindung des Publikums über SMS und Mails als Clou einer Inszenierung fungiert. Die heißt „Die weiße Rose“ und feierte im Theatrium am Freitag und Samstag Premiere – belohnt mit minutenlangem Applaus, Ovationen und Jubel.
Beeindruckend gespielt: Michel Seidel als Hans Scholl, Anna Zemmrich (r.) in der Rolle der Schwester Sophie Scholl, dazwischen Jasmin Cramer als deren Mutter.
Die Sache mit den Handys ist weit mehr als ein origineller Kniff. Einerseits verweist sie darauf, wie die Revolution des Arabischen Frühlings mit Hilfe digitaler Werkzeuge abgelaufen sein muss. Vor allem aber weicht sie Zeitgrenzen zwischen einer jahrzehntealten Vergangenheit und der Gegenwart auf und spiegelt fatale Gemeinsamkeiten. Wenn Hans und Sophie Scholl via Messenger und Skype kommunizieren, sind die Widerständler der Nazizeit im Hier und Jetzt. Leicht wird deutlich: Der aktuelle gesellschaftliche Zustand nähert sich Engstirnigkeit, Rassismus und Fanatismus von damals an. Begriffe wie „völkisch“ kehren in den Sprachgebrauch zurück, Rückwärtsgewandte fordern die Besinnung auf rein deutsches Brauchtum als Verordnung und ätzen gegen Ausländer. Das Schlimmste an allem: Es herrscht ein Klima, in dem sie sich das trauen können.
Fein und klug hat Projektleiter Falko Köpp mit den Jugendlichen zwischen 14 und 19 Großartiges ausgearbeitet. Die Geschichte der Geschwister Scholl vollzieht gekonnt Zeitsprünge; mal wird in der Hitler-Jugend exerziert, dann zu pulsenden Beats in den Clubs getanzt. Über allem schwebt ein elektronisches Zählwerk, das in den Blacks zwischen den manchmal schlaglichtartigen Szenen die Zeit bis zur Hinrichtung der Studenten runterrechnet. Ein Menetekel aus kantigen Zahlen über einer blanken Bühne, denn eine Kulisse braucht das Theatrium nicht – nichts soll ablenken von dem, was es zu erzählen und zu verdeutlichen gilt: wie fatal das Schweigen der Mehrheit sein kann, das widerspruchslose Hinnehmen schleichend gefährlicher Entwicklungen. Jeder, der den Mund hält, macht sich zum Mittäter. Eine fast schon arg plakative Dramaturgie des Zufalls, dass das Stück an dem Wochenende erstmals auf dem Spielplan steht, an dem Rechtsradikale durch Leipzig ziehen.
Auch spielerisch liefern die Jugendlichen, die akribisch gearbeitet und zuvor die Flugblätter der „Weißen Rose“ in die heutige Zeit umgeschrieben haben, eine fantastische Leistung ab. Da ist deutlich zu spüren, dass der Stoff sie etwas angeht. Auf entschiedene Weise Haltung zu zeigen in einem Stadtteil, der nicht gerade zu den politisch linken Hochburgen Leipzigs zählt – das kann man nicht hoch genug schätzen. Mutig. Auch ein wenig beschämend für die Kabaretts in dieser Stadt, die sich zumindest überwiegend hinter Mundart- und Schenkelklopf-Programmen verstecken, statt sich zu positionieren und Widerspruch auszuhalten.
Die Zeit ist abgelaufen. Bevor Sophie und Hans abgeführt werden, rufen sie einen flammenden Appell ins Publikum. Der Song „Weiße Rose“ von Sänger Konstantin Wecker, der auch ein Grußwort an das Theatrium schickte, führt hinüber in beklemmende Stille, beendet von langem Beifall.
Nächste Aufführung am 25. März, 20 Uhr. Karten gibt’s unter www.theatrium-leipzig.de sowie telefonisch unter 0341 9413640. Begleitend zum Projekt läuft vom 24. März bis 20. April die Wanderausstellung „Die weiße Rose. Der Widerstand von Studenten gegen Hitler, München 1942/43“ in der Propsteikirche Leipzig.
Mark Daniel
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 20.03.2017