„Der elegante Architekt“

Hans-Dietrich Wellner hinterließ in Leipzig tiefe Spuren – eine Ausstellung widmet sich den teils kühnen Plänen des Stadtplaners – LVZ vom 27.07.2015:

Architektur ist vergänglich. Den radikalen Stilwandel nach der Wende, den bekam auch Hans-Dietrich Wellner zu spüren. 1996 gab der Stadtrat grünes Licht für den Neubau des Bildermuseums und besiegelte damit das Aus für den Sachsenplatz. Vorausgegangen war ein Streit über den Museumsstandort und eine, teils mit Häme geführte Debatte um das DDR-Erbe. Der Sachsenplatz, den Wellner mit entworfen hatte, er wurde zeitweilig als „architektonischer Sperrmüll“ bezeichnet. „Das hat ihn sehr gekränkt“, berichtet Anett Müller vom Stadtarchiv. Über sein Leben und Werk hat sie eine Ausstellung konzipiert, die ab Oktober in Grünau zu sehen sein wird.
Ein sensibler und bescheidener Mensch war „Dieter“ Wellner, wie er von Freunden genannt wurde, gewissenhaft und fleißig. Wenn er fachlich überzeugt war, beharrte er auf seinem Standpunkt, berichten Zeitgenossen und Weggefährten. Auf Exkursionen hatte der Musik-, Kunst- und Literaturliebhaber stets Bleistift und Skizzenblock zur Hand.
Unbestritten ist der ästhetische Reiz seiner Entwürfe. Der Nachlass des 2013 verstorbenen Architekten lagert nun in den Aktenschränken des Stadtarchivs. Zusammen mit 13.000 Karten und Plänen, Bauzeichnungen und Lichtpausen aus dem Büro des Chefarchitekten, der Vorgängereinrichtung des heutigen Stadtplanungsamtes, wo Wellner seit 1968 angestellt war. „Für das Bauwesen der Stadt war das eine interessante Zeit“, sagt Müller, „es herrschte Aufbruchsstimmung.“
Der Weimarer Architektur-Absolvent Wellner gehörte zur Elite der sozialistischen Baumeister, zu einer ganzen Generation talentierter Akademiker. Ihre ideenreichen Pläne standen hoch im Kurs, sie bestimmten die Leitlinien der Nachkriegsmoderne.
Der Sachsenplatz, 1969 zum 20. DDR-Geburtstag vollendet, sollte Schwung in die City bringen. Angelegt als innerstädtische Oase mit Brunnen, Blumenrabatten, Bänken und Info-Zentrum. Selbst der Augustusplatz (damals: Karl-Marx-Platz) trägt Wellners Handschrift. An der Standortsuche für das neue Gewandhaus war der Baufachmann von 1968 bis 1976 ebenso beteiligt.
Bereits fertig am Reißbrett: die ehrgeizigen und provokanten Entwürfe für die Straße des 18. Oktober, deren Umbau zur Messemagistrale geplant war. Bestens inszeniert, ein zeitgeschichtliches Juwel, für das er und andere mit dem zweiten Platz bei einem Architekturwettbewerb 1968/69 ausgezeichnet wurden. Wellners „Schönwetteransichten“ zeigen einen Prachtboulevard vom Zentrum zur Technischen Messe, mit breiten Gehwegen, gesäumt von Plattenbauten, viel Grün und einem Hochhaus am Bayrischen Platz. Der Portikus des Bayerischen Bahnhofs wäre zwischen den Neubausblocks versunken, die Johannisallee zur Schnellstraße ausgebaut worden – teils wurden die Konzepte Wirklichkeit, teilweise blieben sie Vision.
In den 1970er-Jahren standen Wellner und eine Gruppe von 25 weiteren Architekten, Technikern, Ingenieuren und Ökonomen vor einer Herkulesaufgabe: die Beseitigung der DDR-Wohnungsnot. Auf der grünen Wiese, im Westen Leipzigs, wurde ab 1974 eine ganze Großsiedlung aus dem Boden gestampft. Grünau, eine Stadt in der Stadt, geplant für 100.000 Bewohner. Die Neubauten waren zu jener Zeit eine begehrte Wohnadresse – Konsum, Ärzte, Schulen, Kindergärten und Kulkwitzer See waren gleich um die Ecke, das Stadtzentrum per Bus, S-Bahn und Tram ganz nah. Die Sehnsucht nach der Platte, sie erlosch mit der Wiedervereinigung, Heute leben noch 41.000 Menschen in der einstigen Trabantenstadt.
Wellner hatte den Stadtteil über zwei Jahrzehnte lang begleitet. „Seine Architekten-Generation“, sagt Müller, „hat darunter gelitten, dass ihre Arbeit danach so schlecht gemacht und ihre Lebensleistung infrage gestellt wurde.“

Benjamin Winkler


„Hans-Dietrich Wellner (1934-2013): Stadtplanung für Leipzig“ ist vom 13. Oktober bis 20. November im Stadtteilladen Grünau, Stuttgarter Allee 19, zu sehen.


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 27.07.2015