In lockerer Runde kamen die Teilnehmer am 22. Oktober zum Thema „Fremd sein! Kenn ich das?“ im Caritas Familienzentrum ins Gespräch.
Tayyar Kocak ist ein sympathischer Typ. Um die 40, ein wenig rundlich, mit kurzen schwarzen Haaren, glatt rasiertem Gesicht, einem gewinnenden Lächeln und einer unüberhörbaren Berliner Schnauze. Tayyar Kocak ist noch etwas: Der personifizierte Beleg einer gelungenen Integration. Am 22. Oktober war der gebürtige Türke mit deutschem Pass zu Gast im Caritas- Familienzentrum. Im Rahmen einer Gesprächsrunde unter dem Motto „Fremd sein! Kenn ich das?“ wurde in den Räumlichkeiten der Ringstraße der erste von perspektivisch drei Grünauer Begegnungsorten eröffnet. Kocak hatte einiges zum Thema beizusteuern. Nicht nur aus eigenem Erleben, sondern vor allem durch seine tägliche Arbeit. Er ist Regionalleiter für die Region Mitteldeutschland beim Forum für Interkulturellen Dialog, kurz FID e. V..
Der Name ist Programm: Im direkten Kontakt, in der Begegnung, im Dialog sollen Barrieren und Vorurteile abgebaut und Missverständnisse vermieden werden. Wie letztere entstehen können, erzählt der in Istanbul geborene und bereits als Kind nach Berlin immigrierte Kocak auf amüsante Weise:
„Ganz kleines Beispiel: In Deutschland ist es nach dem Einzug in ein neues Haus üblich, sich bei den Bewohnern vorzustellen. In der Türkei ist es genau anders herum. Da werden die neuen Mieter von den alten willkommen geheißen. Wenn man das nicht voneinander weiß, sitzt jeder in seiner Wohnung und denkt vom anderen: ‚Mein Gott, sind die aber unhöflich!'“ Als er vor gut vier Jahren nach Leipzig kam, habe er sich mit kleinen Geschenken im ganzen Haus bekannt gemacht. Am nächsten Tag standen drei Blumensträuße vor seiner Tür.
So einfach kann es gehen. Schon der kleine Tayyar setzte auf unkomplizierte und unkonventionelle Gesten. Als praktizierende Moslems respektierten er und seine Familie die religiösen und kulturellen Lebensumstände ihrer deutschen Mitmenschen. Freunde überraschte er zu Weihnachten mit kleinen Gaben – was durchaus nicht üblich ist – und erntete Rührung und Akzeptanz. Wie selbstverständlich gehörten christliche wie areligiöse Kinder zu seinem Freundeskreis in Tempelhof. In dem Berliner Bezirk gab es zu dieser Zeit nicht viele türkische Familien. Der gute Kontakt zu Einheimischen – für Kocak ist er neben der Sprache ein wichtiger Schlüssel zur Integration. „Sobald es Kontakte zu Menschen gibt, wird es heimisch. Ich rede nicht von Heimat, das ist etwas anderes. Aber es wird heimisch.“
Aber nicht jeder Migrant ist so wie Tayyar Kocak. Nicht jeder hat eine liberale Erziehung genossen, in der Vorurteile keinen Platz hatten. Nicht jeder ist offen, eloquent, und anpassungsfähig. Das ist auch Kocak bewusst. Überdies haben sich mit den vielen Geflüchteten im letzten Jahr neue, große Herausforderungen ergeben. „Flüchtling ist für mich nur ein Schlagwort, das bei unterschiedlichen Leuten, unterschiedliche Emotionen auslöst. Für mich sind das erst einmal Menschen. Menschen mit Bedürfnissen – manchmal auch mit Ängsten oder Sorgen. Im Übrigen gilt das auch für die andere Seite“ greift der Enddreißiger das Thema Fremdenfeindlichkeit auf. Es sei ein Phänomen, dass gerade die ablehnend reagieren, die keine persönlichen Kontakte zu Ausländern hätten. Ein Kennenlernen würde manchmal schon helfen.
Und schon ist Tayyar Kocak bei seiner nächsten Geschichte – die Begegnung mit Wolfgang, einem Legida-Teilnehmer. Auf die Frage, wann denn die nächste Straßenbahn fährt, erbot sich Wolfgang ihn ein Stück mit dem Auto zu bringen. Auf dem etwas längeren Weg zum Fahrzeug, erzählte Wolfgang seiner Begleitung was so alles schlecht ist mit den Flüchtlingen und überhaupt am Islam. Kocak reagierte cool: „Wolfgang“, sagte er „heute ist dein Glückstag. Seit heute kennst du einen Moslem.“ Der Bann war gebrochen. Zur Dialogreihe der Volkshochschule „Mein Weg nach Deutschland – Flüchtlinge erzählen“, war Wolfgang mit dabei. „Ängste kann man nur im persönlichen Gespräch abbauen“, bringt es Kocak auf den Punkt. Schwierig sei es natürlich, dafür einen Rahmen zu schaffen. Begegnungsorte wie dieser im Familienzentrum sind dafür geeignet. Nun müsste man sie mit Leben füllen. Er sei sehr an weiteren Gesprächsrunden im Stadtteil interessiert. Der Bedarf sei ja da. Speziell auf Grünau abgestimmte Ideen und Anregungen sind stets willkommen, lässt er wissen.
Klaudia Naceur
Quelle: Stadtteilmagazin „Grün-As“ 11/2016