Gelungener Gaga-Schlingerkurs mit Schnipp-Schnapp-Atmung: „Die Leiche ist weg“ im Theatrium
Mordsspaß in der Pathologie: „Die Leiche ist weg“ heißt die neue Produktion im Grünauer Theatrium, die am Freitag bejubelte Premiere hatte. Ein Mehrgenerationenstück (Projekt-leitung: Katrin Großmann) über Schnipp-Schnapp-Atmung, die Kunst des Mordens und länger lebende Totgesagte.
Die letzte Ruhe ist nicht garantiert: Szene aus dem Mehrgene-rationenstück „Die Leiche ist weg“ im Grünauer Theatrium.
In der Pathologie geht’s tatsächlich pathologisch zu. Jeder hier hat seinen ganz speziellen Sprung in der Schüssel. Um nur drei exemplarische Beispiele zu nennen: Ruft man Dr. Bock ohne den Doktor vorm Bock, gibt’s hysterische Anfälle, angesichts derer jeder Tote im Kühlraum froh sein dürfte, tot zu sein. Anfälle, die Pathologiechef Professor Dr. Ohnesorge ohne große Sorge, dafür mit einer gewissen sadistischen Lust gern mal provoziert. Was ja auch nicht ganz gesund ist.
Ganz anderen Lüsten wiederum huldigt des Professors Enkel Noah. Der ist der Nachtwächter im Totenreich und hat an den dort einlagernden weiblichen Verblichenen ein, nun ja, sagen wir mal künstlerisches Interesse. Vor allem an Daniela. Die ist, wie man in Wien sagen würde, „a schöne Leich“. Und noch so frisch. Eben erst gemeuchelt, von Karl und Ben, zwei Pappnasen-Nihilisten, die just in der Pathologie den Mord als Kunstwerk exerzieren wollen.
Es ist gut möglich, dass Projektleiterin Kathrin Großmann nachdem sie sich zuletzt mit „Der Jubilar“ dem bedrückenden Thema Kindesmissbrauch widmete, es mit „Die Leiche ist weg“ thematisch mal etwas leichter angehen wollte. Allerdings hat sie sich dafür das Schwierigste überhaupt ausgesucht – das Königsgenre schlechthin: die Komödie. Und eine in Schwarz noch dazu.
„Die Leiche ist weg“ ist eine abstruse Kreuzung aus Grusel und Gewusel, aus Tatortreiniger und Nonsens à la Louis de Funès. Ole Bornedals „Nightwatch“ und Hitchcocks „Rope“ (im schwachsinnige Verleihtitel liebenden Deutschland unterm schwachsinnigen Verleihtitel „Cocktail für eine Leiche“ bekannt) lieferten so etwas wie den Handlungsfaden, der sich allerdings bald (gewollt) verheddert im pathologischen Absurdistan des Geschehens.
Manchmal nun dreht das eine Spur zu schrill am Rad. Manchmal strauchelt das Timing, was – um im Bild zu bleiben – Pointen dann auch mal stranguliert. Königsdisziplin, wie gesagt.
Aber: Wie witzig das dann insgesamt doch über die Bühne geht! Als Gaga-Schlingerkurs eines Dance Macabre, in dem Ferdinand Probst einen Noah gibt, bei dem man nicht weiß, ob er nur goldig verschroben oder hier der irrste Irre überhaupt ist. Wie sagt es die französische Austauschstudentin Yvonne (Emilia Roch), die auf ihren High Heels ungefähr so durch die Gegend stakt wie mit ihren Sätzen durch die deutsche Grammatik: „Isch habe ein ungutes Sentiment. Isch bekomme Schnipp-Schnapp-Atmung.“
Gilt außer für Yvonne allerdings auch fürs Killerduo (Paul Hämmerling, Charlotte Glück) oder Professor Ohnesorge (Friedrich Brückner). Gilt für die suffnasige Hypochondrie von Dr. Weinfass (Alina Blüthner) wie für die Seniorin in der Runde, „Tatortreinigerin“ Brigitte Pittner, die ziemlich vergeblich einen menschlichen Fuß an den Mann zu bringen versucht. Und während selbst Leiche Nummer 5 (Daniela Winkler) noch durch die Kulissen hasten muss, kann die gemurkste Daniela (Madeleine Beier) eine echt beeindruckende Leichenstarre vorweisen. Die letzte Ruhe garantiert auch das nicht. Zur allgemeinen Freude des Publikums.
Steffen Georgi
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 10.04.2017