Zuzug von Migranten und Flüchtlingen ist Thema bei Stadtteilkonferenz / Nachbarn klagen über „einseitige Belegungspolitik“ – LVZ vom 27.12.2016
So groß wie eine Kleinstadt – Grünau. Und wo viele Menschen leben, fällt Zusammenleben nicht immer leicht. Eine Stadt-teilkonferenz hat jetzt den Finger in die eine oder andere Wunde gelegt. Ein Thema: Zuzugsproblem in Grünau-Mitte.
Die Ringstraße in Grünau-Mitte: Viele der Neuzugezogenen haben einen Migrations- oder Flüchtlingshintergrund. Den angestammten Mietern bereitet das Zusammenleben zusehens Probleme. Die Stadtverwaltung ist alarmiert.
„Leipzig – Heimat für alle!?“ – so lautete der Titel einer Veranstaltung im April dieses Jahres in der Kongreßhalle, mit der Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) die Bürger der Messestadt für die Problemfelder Integration von Migranten, Demokratiefeindlichkeit und Radikalisierung der Gesellschaft sensibilisieren wollte. Es kamen auch ein paar Leute – und die waren sich recht schnell einig, dass die Dialog-Initiative des OBM in den einzelnen Stadtteilen wohl am besten aufgehoben wäre. Der Leipziger Osten ging im Mai voran, der Westen folgte jetzt. Kurz vor Weihnachten fand die erste Stadtteilkonferenz für Grünau statt – für jenes gigantische Quartier, das neben Berlin-Marzahn und Halle-Neustadt in den 70er- und 80er-Jahren die drittgrößte Großraumsiedlung der damaligen DDR war. Auf die Tagesordung hatten der Oberbürgermeister und das Quartiersmanagement vor Ort das Thema Zusammenleben gesetzt. Mit der Resonanz – rund 160 Menschen nahmen an verschiedenen Diskussionsrunden in der katholischen Martin- und der evangelischen Pauluskirche teil – waren die Gastgeber sehr zufrieden. Auch mit dem Verlauf. „Ich bin stolz auf meine Grünauer“, lobt Antje Kowski, seit zehn Jahren Quartiersmanagerin im Stadtteilladen in der Stuttgarter Allee 19, ihre Nachbarn nahezu überschwänglich. „Es wurde Klartext geredet, es ging kritisch zu, aber niemand ist unsachlich geworden. Alle haben sich an die Spielregeln gehalten.“ Die zuvor gebuchte Security, so die 40-Jährige, sei zum Glück gar nicht nötig gewesen.
Eins der heißen Eisen, bei dessen Abkühlung der eine oder andere Anwohner auch schon mal die Contenance verloren haben soll: die Lage in der Ringstraße in Grünau-Mitte. Wohnungsvermieter und -verwalter Grand City Property, ein Unternehmen mit Hauptniederlassung in Zypern und Zweitniederlassung in Berlin, fällt in jüngster Zeit dadurch auf, dass er seine Domizile vor allem an Migranten und Flüchtlinge vergibt. Die Nachbarn mit deutschen Wurzeln stehen dem verstärkten Zuzug von Transfergeld-Empfängern mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die Folgen „dieser einseitigen Belegungspolitik“, wie es hieß, wurden bei der Stadtteilkonferenz dann auch bald beim Namen genannt. „Das Zusammenleben gestaltet sich zusehends schwierig, weil extreme Sprachbarrieren bestehen. Auch wir merken: In Grünau-Mitte verändert sich was“, räumt Antje Kowksi unumwunden ein. Die Integration werde erschwert, weil Neu-Grünauer mit ausländischen Wurzeln unter sich blieben. „Wenn ich immer nur unter Leuten bin, die dieselbe Muttersprache sprechen und dieselbe Kultur leben wie ich, muss ich nicht zwingend Deutsch lernen. Ich komme ja auch so klar“, analysiert die Quartiersmanagerin. Die Bereiche Ringstraße, Stuttgarter Allee und Breisgaustraße seien tatsächlich Sorgenkinder, „weil als Konsequenz dieser Entwicklung viele deutsche Familien jetzt ausziehen oder so schnell wie möglich weg wollen“. Diese Schieflage beobachte das Quartiersmanagement seit nunmehr einem Jahr. Mit Grand City Property – das Unternehmen besitzt in Grünau ab dem 1. Januar 2017 rund 15 Prozent des Wohnungsbestandes – und Einrichtungen der Sozialarbeit seien hierüber bereits Gespräche geführt worden, schildert Antje Kowksi.
Es braucht wohl so etwas wie ein Sozialmanagement in Grünau-Mitte. Denn die Kriminalitätsstatistik für den Stadtteil mit seinen rund 12.500 Einwohnern – darunter knapp 4.000 Migranten beziehungsweise Ausländer – lässt gleichsam aufhorchen. Vor allem junge Leute mit Migrationshintergrund geraten immer häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Zunächst aber soll ein Arbeitskreis gegründet werden – „damit uns die Situation nicht entgleitet“, wie die Quartiersmanagerin sagt. Schon Anfang Januar werde sich das neue Gremium konstituieren. Dem Kreis würden neben Vertretern verschiedener städtischer Ämter und der Polizei auch freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der örtlichen Bildungseinrichtungen angehören. „Wir wollen die Lage so gesamtheitlich wie möglich betrachten“, betont Antje Kowski.
Auch Grünau, davon ist die Stadtteilmoderatorin überzeugt, werde vom Leipziger Wachstum in den nächsten zehn Jahren profitieren. „Es wird weitere Neubauten geben – und zwar nicht nur im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Und es werden sehr viele junge Familien unter den Neuzugezogenen sein.“ Nichtsdestotrotz müsse die Großsiedlung am Rande der Stadt „territorial betrachtet werden“. Für jeden Wohnkomplex würden andere Voraussetzungen gelten. Aber die „Platte“, die habe eine rosige Zukunft, glaubt Antje Kowski.
Dominic Welters
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 27.12.2016