„Neuer Dialog mit Leipzigern“

Wo drückt der Schuh? OBM Burkhard Jung, Bürgermeister und Amtsleiter stellen sich Einwohnern – LVZ vom 18.03.2016

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sucht neue Formen des Bürgerdialogs. Wo drückt den Leipzigern der Schuh? Wie kann der Zusammenhalt in einer schwierigen gesellschaftlichen Situation und in einer wachsenden Stadt gelingen? Wie wird die Teilhabe der Bürger gewährleistet? Wie gehen wir mit Gewaltexzessen und Fremdenfeindlichkeit um? Solche und andere Fragen können am 5. April in der Kongreßhalle diskutiert werden – mit dem Oberbürgermeister und seinen Beigeordneten sowie mehreren Amtsleitern. Die rund 350 Teilnehmer werden per Zufallsauswahl aus dem Einwohnermelderegister gelost und direkt vom Stadtchef eingeladen.
„Einfach sitzen bleiben und so weitermachen kann man nicht“, sagt OBM Jung. Wie in einem Brennglas zeige sich in Leipzig die zugespitzte gesellschaftliche Situation, die zunehmende Polarisierung. „Zwischen Links- und Rechtsaußen. Zwischen den Armen und denen, die sich alles leisten können. Zwischen attraktiv, kreativ, jung, verrückt auf der einen – und abgehängt auf der anderen Seite.“ Es seien auch die Ereignisse am 12. Dezember 2015 und am 11. Januar 2016 gewesen, die ihn dazu bewegt hätten, nun neue Wege zu gehen. „Wir hatten den Ausbruch linksautonomer, anarchistischer Gewalt und den Überfall der Nazi-Hools“, so der OBM. „Wir brauchen eine Veranstaltung, in der die Menschen über ihre Sorgen und Ängste sprechen. Über Demokratieskepsis, Protest, Gewalt, Flucht und Asyl. Wir wollen einen Raum bieten, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen.“
In den Bürgersprechstunden erlebe er immer wieder, dass die Menschen nicht unbedingt sofort Antworten erwarten. „Sie wollen sagen, was sie bedrückt.“ Aber: Der Dialog soll bei zunächst sechs Folgeveranstaltungen in den Stadtteilen weitergeführt werden – unter anderem in der Schumann- und Eisenbahnstraße sowie in Grünau. Die Ergebnisse könnten Eingang ins „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ finden, eine Art Richtschnur für das Leipzig der Zukunft.
Burkhard Jung will nicht mit zu hohen Erwartungen in die erste Runde gehen: „Wenn es gelingt, dass wir einander zuhören, ist schon viel erreicht.“ Im besten Fall würden die Teilnehmer in ihrem Umfeld von ihren Erfahrungen erzählen, vielleicht den einen oder anderen Anstoß mitnehmen. „Ich hoffe auf ein Schneeball-System.“ Das Ganze sei ein Experiment.
Relativ neu ist das Einladungssystem. Erreicht werden sollen nicht „die üblichen Verdächtigen“, die Lobbyisten und Interessenvertreter, die bei öffentlichen Veranstaltungen ohnehin anzutreffen sind. Deshalb wird anhand des Einwohnermelderegisters ein annähernd repräsentativer Bevölkerungsschnitt erstellt – gewichtet nach Alter, Geschlecht und Stadtteil. Die so ausgelosten Personen erhalten eine persönliche Einladung vom Oberbürgermeister. „Ich kann nicht mit 570.000 Menschen sprechen. Und sonst kommen immer dieselben“, begründet Jung die Verfahrensweise. „Wir wollen auch mit denen sprechen, die sonst nicht zu Wort kommen.“
Zu den teilnehmenden Bürgern kommen neben Vertretern der Stadtspitze noch die Quartiersmanager sowie Vertreter von Vereinen und Verbänden. Die Fraktionen des Stadtrats können ebenfalls einen Teilnehmer entsenden. Jung betont aber: „Das soll eine Bürgerveranstaltung sein, keine Politik- oder Verwaltungsveranstaltung.“ An 30 Runden Tischen wird dann diskutiert, notiert und ins Plenum berichtet – jeweils mit einem Vertreter der Stadt und einem Moderator.
„Leipzig – Heimat für alle? – Herausforderungen für das Zusammenleben in unserer wachsenden Stadt.“ Das ist der Titel der ersten Runde. Mit ihr wird, gefördert mit Mitteln der Bundesregierung, zugleich die Reihe „Leipzig weiter denken – auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt“ fortgesetzt. Bei 13 Veranstaltungen hatten sich von 2012 bis 2013 mehr als 1000 Bürger eingebracht – zu Themen wie Finanzen, Wohnungspolitik, energetische Sanierung, Vereinsleben und Ehrenamt.

Björn Meine

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 18.03.2016