Seit 20 Jahren verblüfft das Theatrium bei aller Sozialpädagogik auch künstlerisch – LVZ vom 24.08.2016
20 Jahre sind es dann tatsächlich schon wieder. 20 Jahre, in denen in Grünau das Theatrium unter der Ägide des Vereins Großstadtkinder seine Stellung behauptet. Was nicht ganz selbstverständlich ist. Also, da draußen, am äußersten städtischen Westrand, der oft ja auch soziales Grenzland ist, eine Kinder-und Jugendbühne zu betreiben, in der dann eben nicht nur die obligaten soziokulturellen und sozialpädagogischen Aufgaben angegangen werden, sondern man tatsächlich auch einen künstlerischen Anspruch pflegt, dessen Resultate einen nicht selten verblüfft haben.
„Na ja, was das betrifft, musste ich schon lernen, mit Künstlern umzugehen. Begreifen, dass Theatermacher ja immer Theater machen, selbst wenn sie eigentlich grad kein Theater machen.“ Beate Roch grinst, wenn sie das sagt. Als Theatrium-Chefin der ersten Stunde ist sie schließlich einiges gewohnt – und mit der Grünauer Bühne derart verwoben, dass man selbige schon mal als „Beatrium“ tituliert.
Ironisch verdreht Roch die Augen, wenn man sie darauf anspricht – oder eben fragt, wie man das so hinbekommt, diesen Spagat zwischen dem, was Pädagogik, und dem, was Kunst so einfordert: „Natürlich bin ich zu allererst Sozialpädagogin“, macht Roch klar: „Und natürlich hatte das damals, als Tilo Esche, Steffen Wieser und Uwe Walther die Großstadtkinder e.V. initiierten, Priorität. Es ging um soziokulturelles Engagement, ein sozialpädagogisches Projekt. Aber eben nicht nur. Sonst hätte man sich ja auch nicht für Theater entschieden. Hat man aber. Und ganz nachteilig war da nicht, dass ich selbst mit Theater groß geworden bin, immer an Theater interessiert war, einen Mann habe, der lange am Theater gearbeitet hat. Ich glaub, ich spür schon, was gut ist und was nicht.“
Weshalb sie auch wirklich staune, was da künstlerisch manchmal im Theatrium entstehe. Stolz sei sie sowieso immer – und meint natürlich vor allem stolz auf die Kinder und Jugendlichen: „Klar gibt es qualitative Schwankungen. Aber selbst wenn das eben mal nicht perfekt ist – zu sehen, was die geleistet haben und was denen das bedeutet, das stärkt einen unglaublich.“
Denn um es wieder mal zu sagen: Die Kids und Jugendlichen auf und hinter der Bühne sind hier das Wichtigste. Dass die sich was vornehmen und es dann angehen, auch wenn das manchmal unmöglich scheint. Ambitionierte Projekte und Stücke sind im Theatrium nicht selten. Und selbstverständlich ist neben dem künstlerischen Ehrgeiz aller Beteiligten hier vor allem eins wichtig – und auch das kann man nicht oft genug sagen: Es geht darum, diese Kinder und Jugendlichen die Möglichkeiten ihres eigenen Ausdrucks finden zu lassen und ihnen nötigenfalls dann noch den Mut zu vermitteln, sich eben auch auszudrücken. Ihnen über die Beschäftigungen im Theatrium hinaus Angst vorm Scheitern zu nehmen und somit ein Stück Emanzipationsvermögen zu geben. Das ist mehr als nur ein Hobby- und Freizeitangebot: Ernste, essenzielle Dinge durchspielen können in einem geschützten Raum, in dem gleichsam die komplexen Lebenswirklichkeiten Heranwachsender ihren Widerhall finden.
Lebenswirklichkeiten, die nicht zuletzt geprägt sind von einem gesellschaftlichen Klima, ob dem Beate Roch in aller professionellen Nüchternheit, der ein Zug Resignation indes nicht ganz fremd scheint, konstatiert, dass die Anforderungen an die sozialpädagogische Arbeit in den letzten Jahren wieder akut zugenommen haben: „Natürlich sammeln sich in einem Raum wie dem Theatrium immer auch ‚Problemfälle‘. Das war schon immer so und das ist okay, denn dafür sind wir ja schließlich auch da. Nur, dass diese Fälle eben wieder zunehmen. Circa 44 Prozent der 13- bis 17-Jährigen sind oder waren in psychologischer Behandlung. Und ich will und kann hier auch gar nichts zu den ganzen Krankheiten und Störungen sagen – wir erleben nur die Symptome. Ritzen, Apathie, Verweigerung bis hin zur Selbstmordgefährdung …“
Wer schon mal im Theatrium war, mag das angesichts des gutgelaunten Haufens, der dort meistens rumwuselt, gar nicht glauben: „Das ist doch aber ganz klar“, entgegnet Roch dem Einwand: „Für die Betroffenen ist das hier ein Ort der Stabilität, zeitweise die wichtigste und oft auch einzige Anlaufstelle, die sie haben.“
Man könnte natürlich auch einfach sagen: Die sozialpädagogische Arbeit im Theatrium zeigt schlicht Wirkung. Und das, wo neben den diesbezüglichen Anforderungen der Verwaltungsaufwand enorm gestiegen ist – und steigt: „Ein echtes Problem“, sagt Roch: „Das frisst mehr und mehr Zeit und Kraft, die eigentlich dringend in die pädagogische Arbeit investiert werden muss. Ich will wirklich nicht meckern, auch weil wir uns über Unterstützung seitens der Stadt nie beklagen konnten. Aber dieser Papierkrieg wird geradezu absurd und steht unserer eigentlichen Aufgabe zusehends akut im Wege.“
Die Bürokratie zumindest, wird Beate Roch dann also wohl tatsächlich überhaupt nicht vermissen. Denn ja – das Theatrium ist nur noch ein Beatrium auf Zeit: „Mit Ende der Saison höre ich auf“, erklärt Roch lakonisch: „Ich hab nächstes Jahr 45 Jahre Arbeitsleben auf dem Buckel, und das lief nicht nur faul hinterm Schreibtisch ab. Aber im Ernst: Mit 63 muss ich auch nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ich empfand das immer als schöne Verantwortung – aber mit zunehmendem Alter ist diese Verantwortung eben auch eine zunehmende Last.“
Man hört’s und fragt beinah reflexhaft: Aber was wird dann aus dem Theatrium? Roch: „Na, das wird weiterhin gute Arbeit leisten. Dafür braucht es mich nicht. Nach den Problemen der Anfangszeit, der Quasi-Ruine als Spielstätte, auch manchen unerfreulichen Personalquerelen, ist da jetzt ein neues Haus mit einem wirklich tollen Team und tollen Projekten. Und mehr Andrang von Kindern und Jugendlichen, als wir bedienen können. Doch ein guter, ein schöner Moment zum Aufhören.“
Im Rahmen der Feierlichkeiten ist eine Chronik erschienen, und es findet am 22. September im Theatrium (Alte Salzstraße 59) eine Fachveranstaltung zum Thema „Neue Herausforderungen in der theaterpädagogischen Arbeit“ statt (in Kooperation mit der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung). Weiter Infos: www.theatrium-leipzig.de
Steffen Georgi
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 24.08.2016
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