„Und die Kinder der Asylbewerber?“


Abschiebung trotz Integration – Daco und Stefan reißen Lücke bei United FC

Artikel des Stadtteilmagazins Grün-As 03/2015:

Sonntag ist endgültig: Sie müssen das Land verlassen. Mittwoch werden sie „ausgeflogen“. „Abgeschoben“. Zurück nach Serbien. Auch die Roma-Familie Ajdarevic. Drei Jahre haben sie in der Gemeinschaftsunterkunft Liliensteinstraße gelebt. Mitten unter uns. Doch die Aufenthaltserlaubnis wird nicht verlängert. Auch die Brüder Stefan und Damjan „Daco“ müssen mit. Beide spielten seit September 2013 in der Mannschaft des United F.C. Leipzig, gehören zu den Gründungsmitgliedern.

Seit 21. Dezember war eine Protest-Petition online: „Keine Winterabschiebung in Sachsen: Asyl ist eine Frage der Menschlichkeit!“ Britta Taddiken, Pfarrerin der Thomaskirche Leipzig und Dr. Andreas Knapp, Arbeiterpriester und Schriftsteller in Leipzig zeigen auf, was die Rückkehrer „zu Hause“ erwartet: „… Menschen, die fliehen mussten, haben in ihrer Heimat alles verloren und müssen bei ihrer Rückkehr … von Null beginnen. Es ist unmenschlich, Menschen bei Minustemperaturen einer derart schwierigen … Situation auszusetzen. Wir fordern die Landesregierung von Sachsen auf, prinzipiell auf Winterabschiebungen zu verzichten, was rechtlich ohne weiteres möglich ist. („humanitärer Grund“ i.S.d. § 60a Abs. 1 AufenthG)“.
Am 19. Januar war die Zeichnungsfrist beendet. 15.124 Unterschriften wurden übergeben.
„… Die betroffenen Roma in Serbien leben zu über 60 Prozent in Slums, die kaum heizbar sind. Die Wohnbedingungen sind katastrophal, … weder Wasser und Kanalisation noch Elektrizität. Abgeschobene Roma sind laut Berichten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (2012) besonders häufig dort anzutreffen. Eine Winterabschiebung … gefährdet das Leben der Kinder in einer bedrohlichen Weise.“
Die Fußballer Daco und Stefan sind minderjährig, haben kaum Einfluss auf die Dinge. Die Eltern der Brüder müssen in der Unterkunft eine langfristige Entscheidung abwarten. Drei Jahre leben sie von weniger als Hartz IV, haben keine Arbeitserlaubnis. Integration erfolgt da nicht wirklich. Daco und Stefan und all die anderen Kids sind während des Asyl-Aufenthaltes schulpflichtig. Müssen sich schnell zurechtfinden in einer fremden Welt, in der die Jungs durchaus nicht selbstverständlich willkommen sind. In die sie aber mit ihren Eltern gekommen sind, um neu anzufangen, es besser zu haben, es besser zu machen.
Als Vorsitzender des NETZwerk blau-gelb e. V. ebneten Philipp Bludovsky und sein Stellvertreter Peter Schön 2013 den Weg für United F.C. Beide sind für die Jungs mehr als nur Teamcouches. Die engagierten jungen Männer sind für die Kicker aus so verschiedenen Ländern inzwischen Freunde, Ratgeber, Orientierungspunkt in einer fremden Welt, in der sie in den vergangenen drei Jahren zunehmend heimisch werden. „Die Jungs haben bei uns viel gelernt, auch für ihr Leben“ versichert Peter Schön. „Sie dürfen jetzt nicht verzagen und müssen weiter kämpfen wie auf dem Fußballplatz“.
Dieses Engagement haben nicht nur Daco und Stefan der Mannschaft zurückgegeben. Teamchef Philipp Bludovsky ist stolz auf seine Jungs: „Stefan entwickelte sich zum zuverlässigen Außenverteidiger und Daco zu einem klassischen Sechser mit viel Torgefahr. Mit Daco und Stefan verliert der Fußballverein nicht nur zwei gut integrierte, aufgeweckte und leistungswillige junge Menschen, sondern auch eine wichtige Konstante im Team.“

Silke Heinig


I N T E R V I E W:

„Wir vergessen Freunde nicht!“

Sind durch den Fußball aus so unterschiedlichen Jungs echte Freunde geworden, die sich nun vermissen?

Philipp Bludovsky (Teamcoach): Vor allem die U 15 ist zu einem eingeschworenen Haufen zusammen-gewachsen, aus Individualisten entwickeln sich zunehmend Teamplayer. Jeder kämpft für jeden. Es trifft das Team und die Betreuer hart, wenn uns Spieler in ihre Herkunftsländer verlassen müssen. Es schweißt uns aber auch noch mehr zusammen. Es ist alles sehr emotional für uns.

Haben eure Kicker in Deutsch und in der Schule Fortschritte gemacht?

Philipp: Alle Spieler verstehen gut Deutsch und können sich ausdrücken. Es ist unsere Teamsprache. Allein in der U 15 spielen aktuell Jugendliche aus acht Nationen, da benötigt man eine gemeinsame Sprache. Wir hoffen, dass unser Projekt auch Auswirkungen auf die schulischen Leistungen hat. Zumindest berichten uns einige Spieler stolz, wenn sie eine gute Note bekommen haben. Wir machen den Jungs klar, dass sie sich in der Schule genauso den Arsch aufreißen müssen wie auf dem Fußballplatz.

Bleiben die Spielernummern 5 und 11 künftig unvergeben?

Didi Sefer (Co-Trainer): In unserer Mannschaft hat jeder Spieler eine feste Nummer. Daco und Stefan kommen hoffentlich bald wieder aus Serbien zurück und deshalb behalten sie auch ihre Spielernummern.

Werdet ihr Kontakt halten?

Senat Kurtisov (Kapitän): Wir haben eine eigene United-Gruppe bei Facebook. Da können wir uns immer mit Stefan und Daco unterhalten und unsere Ergebnisse mitteilen. Wir vergessen unsere Freunde nicht!

Wie kompensiert ihr die Lücken ohne diese beiden?

Philipp: Die Beiden waren eine wichtige Säule in der Mannschaft, sportlich und menschlich. Die Lücke wird schwer zu schließen sein. Es haben sich aber inzwischen auch einige neue Spieler angesagt. United wird langsam in Leipzig bekannt. Vor allem für die neue Saison suchen wir Kicker im Alter von 12 bis 16 Jahren. Und wir benötigen unbedingt Torhüter!

Wie geht`s in den nächsten beiden Monaten weiter? Was steht an?

Philipp: Wir werden hart trainieren. Die U 13 muss den Klassenerhalt schaffen, mit der U 15 wollen wir unbedingt bei der Landesstraßenmeisterschaft gut abschneiden und auf dem Großfeld ungeschlagen bleiben. Die Winterpause ist bei uns immer Hochsaison. Fast jedes Wochenende haben wir ein Hallenturnier. Hinzu kommen Freiluftspiele. Aktuell trainieren wir in der Halle der Freien Schule. Ab März geht es wieder raus auf das Gelände. Aktuell kicken fast 30 Kinder aus über zehn Nationen in zwei Altersklassen bei United. Administrativ müssen Strukturen geschaffen werden, die dem Wachstum Schritt halten. Wir benötigen dringend mehr Unterstützer, Freiwillige und Sponsoren für die Sicherstellung des Trainingsbetriebes!

Interview: Silke Heinig

Quelle: Stadtteilmagazin Grün-As 03/2015


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Beitrag von www.weltnest.de