„Wirkungsvoller als Unterricht“

Stolpersteine erinnern an ehemalige Klinger-Schülerinnen Berta und Rosa, vom NS-Regime ermordet – LVZ-Artikel vom 10.09.2014:


Schüler des Max-Klinger-Gymnasiums verlegen zusammen mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig (rechts) vor dem einstigen Wohnhaus der Familie von Berta Rosenfeld in der Karl-Heine-Straße 47 sechs Stolpersteine. Sie erinnern an das Schicksal der jüdischen Familie, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft litt.

Schnell angezogen, Schultasche gepackt und auf die andere Straßenseite gewechselt. Die Max-Klinger-Schule, einst in der Karl-Heine-Straße 22 b beheimatet, liegt für Berta Rosenfeld nur wenige Gehminuten von der elterlichen Wohnung entfernt. Zusammen mit ihrer Mutter Rosa, Vater Is- rael, Oma Henry, Onkel Maier und dem jüngeren Bruder, Josef Rosenfeld, wohnt sie im Haus Nummer 47. Bis zum 28. Oktober 1938, als sie zusammen mit anderen Leipziger Juden in Sonderzügen ins polnische Bytom abgeschoben wird. 1942 – Berta ist 21 Jahre alt – erfolgt die Deportation ins Vernichtungslager Belzec, wo sie vermutlich ermordet wird oder auf dem Weg dorthin stirbt. Heute, mehr als 70 Jahre danach, ist ihre Geschichte in Stein gemeißelt.
In den Mittagsstunden des gestrigen Dienstag rollt viel Verkehr über die Karl-Heine-Straße. Still ist es hingegen vor dem Haus, in dem Berta Rosenfeld zuletzt gelebt hat. Gemeinsam mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig haben Schüler des Grünauer Max-Klinger-Gymnasiums auf dem Gehweg sechs Stolpersteine in den Boden gelassen und Rosen niedergelegt, um ihrer jüdischen Mitschülerin Berta zu gedenken, die Anfang der 1930er-Jahre die alte Klinger-Schule – seinerzeit eine Mädchenschule – besuchte. „Es soll ein Mahnmal sein, um zu zeigen, was Rassismus und Diktatur bedeuten können“, sagt Ron Leuchtemann (19). Nur der Bruder der sechsköpfigen Familie habe das Ende des Krieges überlebt und sei später nach Israel ausgewandert, erzählt Daniel Werner (14). Beide sind Mitglieder der Projektgruppe Schulgeschichte am Klinger-Gymnasium. „Ursprünglich wollten wir nur allgemein zur Schulgeschichte forschen“, erzählt Leuchtemann „Dann kam die Frage auf, was eigentlich in der NS-Zeit mit den jüdischen Schülerinnen passiert ist.“ Zwölf von ihnen gehörten zur damaligen Schülerschaft. Dabei stießen die Jugendlichen auch auf das Schicksal von Rosa Szyja. Sie, Jahrgang 1920, war nur ein Jahr älter als Berta und wurde 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. An ihre Familie erinnern seit gestern ebenfalls Stolpersteine – sieben an der Zahl, vor dem Haus Schnorrstraße 20 in den Boden gelassen.“Diese Art, sich mit dem Holocaust und der Geschichte zu beschäftigen, ist viel wirkungsvoller als zwei Stunden trockener Unterricht“, findet Lehrer Ralph Rüdiger.
Insgesamt 29 neue Stolpersteine erinnern seit gestern an die Opfer des braunen Terrors an verschiedenen Orten in Leipzig. 265 kleine Messing-Mahnmale seien es insgesamt, erläutert Achim Beier vom Archiv Bürgerbewegung Leipzig. „Wir haben Projekte bis 2016, wollen diese schnell abschließen. Die biologische Uhr tickt. Möglichst viele Angehörige sollen die Verlegungen noch miterleben.“
„Eine gute Geste“, sagt Vladimir Solovey von der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Und blickt auf die mit Rosen bedeckten Steine: „Es ist besonders wichtig, dass auch die jüngere Generation die Erinnerung bewahrt. Ein nationalsozialistisches Deutschland darf es nie wieder geben.“

Benjamin Winkler

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 10.09.2014