„Wohnst du noch oder spielst du schon?“

Das Theater der Jungen Welt erzählt in der Clubwoche morgen bis Sonntag Geschichten von Zuhause
LVZ 20.06.2017

Ein karger Raum, Bett, Spind, Stuhl, sonst nichts. Daneben ein kunterbunt eingerichtetes Zimmer, knallroter Boxsack an der Decke, Schachbrettmuster auf dem Boden. Hinter der dritten Tür ein Wohnzimmer wie eine Zeitreise – mit Schrankwand und Landschaftsmalerei. Drei Räume in einer Wohnung – aber wer lebt hier eigentlich? Und wie? Diesen Fragen geht das Theater der Jungen Welt im laufenden Projekt „Homestorys“ nach.


„Heeme“ – wo ist das eigentlich? Der inklusive „Club Melo“ sucht am Theater der Jungen Welt nach Antworten.


Mit den Theaterpädagogen der „Jungen Wildnis“ können Jugendgruppen seit April nach freier Anmeldung eine Hochhaus-Wohnung in Grünau besuchen und herausfinden, welche Geschichten die Wohnräume über ihre Bewohner erzählen. Die Meinungen dazu gehen auseinander, sie sind so vielseitig wie die Teilnehmer selbst. „Einer findet beispielsweise, dass Frauen es sich gemütlich machen, ein anderer antwortet: ‚Hier gibt es gar kein Pink, hier kann keine Frau wohnen'“, erläutert Theaterpädagoge Roland Bedrich. „Wir entdecken in der Diskussion, wie Vorurteile unsere Wahrnehmung lenken.“
Einfach wird es den Jugendlichen nicht gemacht: In jedem Zimmer findet sich mindestens ein Element, das so gar nicht ins Klischee passen will – hier sind ein genauer zweiter Blick und Detektivarbeit gefragt. Mit ihren ersten und zweiten Eindrücken füllen die Projektteilnehmer die Wohnung selbst mit Leben – sie werden zu den Mitbewohnern, ziehen für den Moment in ihre Zimmer ein, erzählen ihre Geschichten, tragen ihre Konflikte aus. Dabei stehen auch die ganz großen Themen im Raum: „Wenn im Zusammenleben Konflikte ausgehandelt werden, greifen Machthierarchien, demokratische Verfahrensweisen, aber auch Gewaltstrukturen. Darüber reden wir.“
Darüber wird auch auf den Bühnen des Hauses am Lindenauer Markt geredet. Von den sechs Amateurgruppen, die in der Clubwoche von morgen bis Sonntag die Türen zu ihren eigenen, sehr verschiedenen „Zuhauses“ öffnen. Eine Woche lang zeigen sie, was sie in der laufenden Spielzeit erarbeitet haben. Allen Inszenierungen liegt eine Frage zu Grunde – und die ist viel komplexer, als sie klingt: Wo sind wir zu Hause?
Die Antworten der Clubs fallen erstaunlich unterschiedlich aus. So schickt der Jugendclub in seinem Stück „Germanns Angst“ Deutschland zur Psychoanalyse. Das Therapieziel ist recht hoch gesteckt: Auf der Couch soll eine Gesellschaft neu verortet werden, die nicht loslassen kann und auf Veränderungen schreckhaft reagiert. Der Kinderclub hat weniger Scheu, zumindest vor dem „Neuland“: Mit „My game is my castle – Was heißt schon real?“ richten sich die jungen Darsteller irgendwo zwischen Kinderzimmer und Computerspielen mit einem Fuß in der Realität und mit dem anderen im digitalen Raum häuslich ein.
Die drei Studentenclubs geben tiefe Einblicke in das Zwischenmenschlich am Zusammenleben. Wie das unter extremeren Bedingungen aussehen kann, zeigt der Studentenclub II in „Inselreich(t) nicht mehr“. Mit Inseln mitten in der Großstadt, der vietnamesischen Community und dem Fremden in der Heimat beschäftigt sich der Studentenclub I. Dabei stoßen die Theatermacher an Grenzen und müssen sich fragen: Wie können wir eigentlich über Kulturen reden, in denen wir nicht zu Hause sind? Den Weg zu möglichen Antworten zeigen sie in „PaGemon Go! hinter mir vor mir das gildet nicht ich komme“. Wie gruselig, gemütlich oder gänzlich grauenvoll „Living with the monster“ sein kann, erfährt das Publikum vom Studentenclub II.
Der inklusive „Club Melo“ wiederum stellt die Frage, wer hier überhaupt wie und mit wem wohnen kann – oder darf. Ein eigenes „Heeme“, so der Titel ihres Stücks, ist längst nicht für alle Menschen eine Selbstverständlichkeit. Für einige bleibt es eine Sehnsucht. Ihrer Erfüllung nähern sich die 18 Akteure in einer fantasievollen szenischen Collage an. Sie spielen in jedem Sinn des Wortes um ihr Wohn- und Lebensglück. Am Ende haben es manche – und manche eben nicht.

Juliane Groh

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 20.06.2017


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