LVZ vom 05.03.2018
Wir haben schon lange das Glück, keinen Krieg mehr in unserem Land zu erleben. Stattdessen können wir uns mit so schönen Dingen wie dem dänischen Gemütlichkeits-prinzip der „Hygge“ oder einer schicken neuen Topfpflanze für das nächste Instagram-Foto beschäftigen. Dennoch ist der Krieg, der anderswo statt-findet, in der Peripherie unseres Bewusstseins. Im Theatrium fand am Freitag die erste Premiere der Spielzeit statt, „Die lange lange Straße lang“, ein Stück, das dem Zuschauer ins Gedächtnis rückt, was passiert, während er hier in Sicherheit lebt. Dabei zeigen die vorwiegend jungen Darsteller viel Mut zur Unbequemlichkeit.
Die lange Straße, das ist symbolisch gesprochen der Weg, den der aus Syrien heimgekehrte Leutnant Fischer geht, der von einem posttraumatischen Stresssyndrom gezeichnet scheint. Es ist eine Rolle, in der sich mehrere der Jugendlichen abwechseln. Konkret ist die Straße zunächst die Petersstraße, mit dem Ausgangspunkt Wilhelm-Leuschner-Platz. Der Leutnant läuft auf Krücken auf einem Laufband, das in der vorderen Mitte der Bühne steht. Zu seiner Rechten und Linken stehen Bildschirme, auf die sein Weg als Video projiziert wird. Dazwischen tauchen Bilder auf, die das zerbombte Aleppo zeigen, mit einem Morphing-Geräusch, als würde jemand etwas verschlingen. Dann bricht er zusammen. Auf die rechte Leinwand werden unterschiedliche Szenen in Schwarz-Weiß und stilistisch passender leichter Körnung gestrahlt, sodass sich die Sequenzen auf Bühne und Wand ebenfalls abwechseln, aber auch miteinander verbunden sind.
Die Szenen basieren auf Texten des Nachkriegsautors Wolfgang Borchert, darunter Kurzgeschichten wie „Die Küchenuhr“ und „Nachts schlafen die Ratten doch“. Man hat aber alles ganz in die moderne Zeit geholt. Licht- und Sounddesign überzeugen dabei: Immer wieder setzt man den Zuschauer schrillem, reizüberflutendem Lärm aus, der das Gefühl der Überwältigung unterstreicht.
Auch Falko Köpps Regie ist sehr gelungen mit ihrer spannenden Mischung aus Videoprojektionen und Bühnenspiel, und die generationenübergreifende Besetzung weiß zu beeindrucken. Es ist bedrohlich, wenn die Jugendlichen in schmutzig aussehender Kleidung und mit festem Schritt auf das Publikum zukommen und „Generation ohne Abschied“ rufen oder sie in der Projektion ein Gewehr auf die Zuschauer selbst richten. Dazwischen immer wieder Elend, Hunger, der Tod, der uns und unsere Bequemlichkeit anprangert, und die lange Straße, die der Leutnant entlang geht.
Es ist auch für das Publikum ein weiter Weg voller Leid und unterschiedlicher Fragmente, teilweise ist er nur schwer auszuhalten. Als dann am Ende der Weg wieder zu uns zurückführt, geschieht das mit einer genialen Symbolik, die das Publikum mit einem ebenfalls langen und verdient euphorischen Applaus belohnt.
Miriam Heinbuch
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 05.03.2018