„Nebelbomben“

Der Titel ist ein kluges Anagramm – und triff den Nagel auf den Kopf: „Koma“ heißt das neue Stück im Grünauer Theatrium, die am Freitag Premiere feierte. Ein Stück mit schwierigem Sujet, das den Versuch unternimmt, dem Unbeschreiblichen mit einer Zustandsbeschreibung beizukommen. Und an entscheidender Stelle scheitert: Die Inszenierung basiert unter anderem auf dem Werk „11.3. – Der Amoklauf von Winnenden: Hintergründe, Widersprüche und Vertuschungen“ von Guido Grandt, der für seine Verschwörungstheorien umstritten ist.


Rückzug aus dem Schok – eine Szene aus „Koma“.
Foto: Constanze Burger


Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. Ein Amoklauf an einer Schule. Tote, Verletzte. Und auf immer dahin ist bei den Überlebenden jenes lebenswichtige menschliche Urvertrauen in die Welt. Dennoch dreht sie sich, geht das Leben weiter. Nur die, die überlebten, die „davon kamen“, treten auf der Stelle. Verharren in Schockstarre, sind gefangen, befinden sich im Koma, das ihr ganzes Denken paralysiert.

Wenn sich nun die Inszenierung genau diesem Zustand und den verschiedenen Arten widmet, wie die Kinder, die Jugendlichen, eine Lehrerin damit umzugehen versuchen, gelingen starke Momente. Schon zu Beginn, wenn zu Musik von Nick Cave und Warren Ellis das Darsteller-Ensemble sich im alptraumhaften Slow-Motion-Lauf bewegt. Oder wenn der innere Kampf der Kids mit ihren kaum zu packenden Emotionen sich in kurzen, mal harschen, mal zärtlichen Szenen gekonnt nach außen kehrt.

Das überzeugt, darstellerisch und inszenatorisch. Und wäre man bei dieser Fokussierung aufs Innenleben geblieben, hätte „Koma“ ein packendes Stück über seelische Abgründe, aber auch Stärke und Selbstbehauptung werden können; zumal Projektleiterin Kathrin Großmann schon oft zeigte, wie gut sie derlei zu inszenieren versteht.

Doch zieht bald ein Ton der gesellschafts- und medienkritischen Emphase ins Stück ein. Dagegen gibt’s prinzipiell nichts einzuwenden, allein mit Blick auf Schlagworte wie Waffenlobby oder Sensationsjournalismus. Nur dass in „Koma“ diese Kritik selbst etwas Komatöses hat: Hier wabert Verschwörungstheoretisches durch die Handlung – als andeutungsreiches Raunen und munkelnde Suggestivfragen von Guido Grandts erwähntem Buch jenseits von journalistischer Seriosität und investigativem Scharfblick. Diese Einsicht gewann auch das Theatrium-Team, nachdem es kurz nach der Premiere auf die Fragwürdigkeit von Grandt hingewiesen wurde – und nahm das Stück vorerst aus dem Spielplan.

„In der Recherche zum Stück sind uns schwerwiegende Versäumnisse unterlaufen“ so Geschäftsführerin Almut Haunstein. „Das Theatrium distanziert sich ausdrücklich von der Person Guido Grandt und seiner (politischen) Haltung.“ Statt der nächsten geplanten Aufführung morgen Abend „werden wir mit den beteiligten Jugendlichen in die Diskussion gehen, um sie über die Hintergründe aufzuklären. Gegebenenfalls werden wir dann das Stück nach einer grundlegenden Überarbeitung in der nächsten Spielzeit wieder aufnehmen“.


Nächste Premiere: Fr., 13.04.2018, „Die Wahl“ (Jugendtheaterprojekt)
Infos: www.theatrium-leipzig.de


Steffen Georgi

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 22.03.2018