Wertvolle Begegnung in der Waffenverbotszone

Wie sich Komm-Haus-Chef Uwe Walther und der Libyer Mahmud Bakri kennenlernten – und gegenseitig halfen (LVZ vom 14.05.2020)

Ehrlicher Finder: Mahmud Bakri und Uwe Walther mit der verlorenen Fahrradtasche.
Foto: André Kempner

Die Hoffnung hielt sich in Grenzen. Uwe Walthers Fahrradtasche war futsch und der Inhalt so wertvoll, dass der Leipziger nicht unbedingt damit rechnete, sie zurückzubekommen. Was auf den Verlust im fortgeschrittenen April folgte, setzt sich zusammen aus Überraschung, Bruch mit Klischees, gegenseitiger Hilfe und arabischem Kaffee in einer Waffenverbotszone.

Drei Schlüsselbunde, eine hochwertige Spiegelreflexkamera, abzurechnende Original-Kassenbelege und andere Utensilien hatte der Leiter des Komm-Hauses Grünau in der Tasche, als er auf dem Radweg Lützner Straße Richtung Innenstadt fuhr – und plötzlich an einer Ampel feststellte, dass der Gepäckträger leer war. Der 58-Jährige drehte und suchte den kompletten Radweg im Eiltempo ab, ebenso vergeblich wie später das Hoffen auf das Melden eines Finders – bis er tags darauf einen verpassten Anruf auf dem Apparat des Komm-Hauses entdeckte und zurückrief. Mahmud Bakri aus dem Eisenbahnstraßenviertel meldet sich, er hatte die Radtasche gefunden und Walthers Nummer recherchiert.

Finderlohn abgelehnt

„Ich war erleichtert und auch ein bisschen amüsiert“, sagt Walther, „denn dass ein ehrlicher Finder in Deutschlands angeblich kriminellstem Viertel wohnt, spottet jedem Klischee.“ Kurz darauf stand er vor Mahmud Bakri. Der hatte an besagtem Tag einen Freund in Grünau besucht und die Tasche gefunden. Nun übergab er sie dem Besitzer – mit komplettem Inhalt. Finderlohn lehnte der Libyer mehrfach entschieden ab. „Das ist selbstverständlich, dafür nehme ich kein Geld“, betont er. Und das, obwohl der 36-Jährige jeden Cent gebrauchen kann, denn seit Februar ist er ohne Einkommen.

Vor vier Jahren kam Bakri nach Deutschland. Seine Flucht aus den Kriegswirren in der libyschen Hauptstadt Tripolis führte ihn übers Mittelmeer nach Italien und die Schweiz zunächst ins erzgebirgische Marienberg, später nach Leipzig. Nach dem Absolvieren von Sprachkursen arbeitete der gelernte Elektriker zwei Jahre lang bei Jenatec und zuletzt bei einem anderen anhaltinischen Unternehmen, das die Lohnzahlung ab Februar einstellte und im April offiziell pleite ging. Weil Bakri Papierkram und Behördendschungel nicht durchschaute, blieb er ohne Arbeitslosengeld.

Von der Misere erfuhr Uwe Walther über einen deutschen Bekannten Bakris, der bei der Taschenübergabe dabei war – und beschloss, sich bei dem Libyer zu revanchieren. „Nach Sichtung der Unterlagen habe ich Anträge auf Insolvenz- und Arbeitslosengeld gestellt“, berichtet er. Zum nächsten Treffen bei einer Tasse arabischem Kaffee hatte der Neu-Leipziger schon eine amtliche Bewilligung für eine Vorschusszahlung auf dem Tisch. „Ich bin Uwe dankbar für seine Unterstützung“, sagt er strahlend. „Ich hätte das nicht allein geschafft.“

Noch ein Glücksfall für Mahmud Bakri: Inzwischen hat er einen neuen Job als Elektriker in Leipzig gefunden. Die größten Wünsche des vierfachen verheirateten Vaters sind nun, dass aus seiner Duldung eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wird und er seine Familie nachholen kann. „In Leipzig fühle ich mich wohl“, schwärmt er, „eine weltoffene, schöne Stadt.“

Einladung zum Essen

Uwe Walther freut sich über Mahmuds Einladung zum baldigen arabischen Essen. „Diese Begegnung ist eine tolle Erfahrung für mich“, sagt er. „Vielleicht zeigt sie manchen Leuten, wie falsch pauschale Vorverurteilungen über Ausländer in der Eisenbahnstraße und generell sind.“

Mark Daniel

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 14.05.2020