„Die Mutter der Leprakranken: Ruth Pfau ist tot“


Gebürtige Leipzigerin wirkte seit 1960 in Pakistan als Ordensschwester und Ärztin
– LVZ vom 11.08.2017

Weltweit wurde sie in einem Atemzug mit Mutter Teresa genannt, galt als Mutter der Leprakranken. Jetzt ist die Ordensschwester Ruth Pfau 87-jährig im pakistanischen Karachi gestorben.


Ruth Pfau bei ihrem Besuch 2011 in der Leipziger Berufsschule für Gesundheit und Sozialwesen, deren Namensgeberin sie ist.


Auch in ihrer Heimatstadt Leipzig löste diese Nachricht gestern große Betroffenheit aus. Hier war Ruth Pfau 1929 geboren worden, ihre Familie wohnte An der Märchenwiese. Ursprünglich wollte sie Biologielehrerin werden. „Aber es kam anders“, schilderte sie einmal gegenüber der LVZ. „Wir waren fünf Mädchen und ein Bub daheim. Als der zwei Jahre alt war, hatte er plötzlich Lungenentzündung. Es war die Zeit, als Leipzig von den Russen besetzt war und nächtliche Ausgangssperre herrschte. Die Hausärztin konnte nicht mehr kommen. Der Junge starb. Von da an wollte ich Medizin studieren – und nicht heiraten: Weil ich so ja nur für mich allein verantwortlich sein und nachts rausgehen kann, wenn’s mal brenzlig wird.“

International vielfach gewürdigt

Mit 20 zog es die junge Frau in den Westen, in Mainz und Marburg studierte sie Medizin. In dieser Phase habe sie „eine bestimmende Kraft für ihr Leben“ im christlichen Glauben gefunden, wie sie später sagte. 1951 ließ sie sich taufen, vier Jahre später trat sie dem Orden der „Töchter vom Herzen Mariä“ bei. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, des beginnenden Wohlstands. Die junge Frau wollte „dem oberflächlichen Leben in der jungen Bundesrepublik“ entfliehen, sich „auf das Wesentliche konzentrieren“: Ihr Orden sandte sie 1960 nach Asien, wo sie in Karachi blieb, offiziell erstmals Leprahelfer schulte. Einen Gesundheitsdienst, auf dem sie in Pakistan aufbauen konnte, gab es nicht. Zudem musste sie sich gegen engstirnige Bürokraten und korrupte Beamte durchsetzen. Aber sie gründete für den Kampf gegen Lepra die Organisation „Marie Adelaide Centre (MALC)“, baute damit eine moderne Spezialklinik und ein flächendeckendes und bis heute funktionierendes Netz von Lepra- und TB-Stationen auf. So gelang es, die Patientenzahl in Pakistan von mehr als 100 000 (1960) auf 10 000 (1991) zu verringern. Das ermöglichte der Ärztin und ihrem Team, sich fortan auch vermehrt anderen Leiden wie der Tuberkulose und Augenerkrankungen sowie bedürftigen alten Menschen zuzuwenden. Unterstützung fand die Leipzigerin etwa bei der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW), die ihre Arbeit seit 1961 unterstützte und mit ihr 1996 die Ruth-Pfau-Stiftung ins Leben rief. International wurde Ruth Pfau mit zahllosen hohen Auszeichnungen bedacht. 1978 etwa bekam sie das Große Bundesverdienstkreuz (1985 auch das mit Stern) – und den höchsten pakistanischen Zivilorden. Der Staat Pakistan ernannte sie zu seiner Ehrenbürgerin, ab 1979 arbeitete sie als nationale Beraterin für Leprafragen im Rang einer Staatssekretärin.

In Leipzig hatte sich das Berufliche Schulzentrum Gesundheit und Sozialwesen – gegen den Widerstand bockbeiniger Stadträte – 2010 den Namen „Ruth-Pfau-Schule“ hart erkämpft. Eine Ehre, die laut der Parlamentarier nur posthum vergeben werden sollte. Unvergessen, als die kleine, zierliche Ordensschwester dann im Oktober 2011 die Bildungsstätte erstmals besuchte und mitten in den herzlichen Empfang hinein mit einem heiteren Seufzer entschuldigend meinte: „Tja, ich habe Ihnen ja nun nicht den Gefallen getan, zwischenzeitlich verstorben zu sein. Dann wäre die Sache mit meinem Namen für Sie einfacher gelaufen.“

Dass sie nunmehr entschlafen ist, wurde gestern morgen mit großer Traurigkeit an der Schule aufgenommen. „Wir hatten von Renate Reichelt, unserer Verbindungsfrau vom DAHW in Würzburg, die Nachricht bekommen, dass sie vergangene Nacht um 0.30 Uhr dortiger Zeit gestorben ist“, so Schulleiter Andreas Bidmon. So ganz überraschend sei dies dennoch nicht gekommen. Bereits am Wochenende hatte es aus Karachi geheißen, Ruth Pfau habe einen schweren Schwächenfall erlitten und sei in die Aga-Khan-Klinik eingeliefert worden. „Wenn man sich mal überlegt: Fast 60 Jahre ihres Lebens war diese schmächtige Frau in Pakistan unterwegs, sie kannte das Land wie ihre Westentasche. Und wir haben es beispielsweise 2012, als wir sie mal besuchten, erleben können, wie sie, damals schon hochbetagt, täglich noch an die 100 Kilometer mit dem Auto zurücklegte, um Kranke zu behandeln. Bis zum Frühjahr diesen Jahres hat sie das praktisch noch gemacht“, zollt Bidmon tiefsten Respekt. Ob sie in ihrem Leben nicht mal Momente gehabt habe, wo sie alles aufgeben wollte, wollten seine Schüler einmal von Ruth Pfau wissen. „Doch. Aber ich habe mir nützliche Worte der Jesuiten zu eigen gemacht: Weitermachen ist unnütz. Aufgeben ist auch unnütz. Also machen wir weiter“, sagte sie.

Kondolenzbuch ausgelegt

Ob sie einmal zurück nach Deutschland kommen möchte, wurde sie zudem oft gefragt. Die Antwort war stets ein festes „Nein“. „Ich bin ja nur mit einer Minirente versichert. Hier hätte ich kein Auskommen. In Pakistan, wo man für einen Euro ungefähr 100 Rupien bekommt, kann man eine Menge damit anfangen! Zugegeben, manchmal denke ich doch, es wäre nicht schlecht. Aber es gibt dort so viel zu tun, was auch ich noch machen kann! Und mein Team in Karachi würde auch protestieren! Also, die Rolle der Alten ist dort schon noch eine andere als hier“, hatte sie feinsinnig lächend gemeint.

„Ihr Wunsch war es ja auch immer, in Karachi beigesetzt zu werden, und so ist es jetzt auch vorgesehen“, wusste Bidmon gestern zu berichten. Geplant sei jedoch seitens des DAHW, Mitte September zeitgleich in Würzburg, in Münster und in Leipzig einen Gedenkgottesdienst für Ruth Pfau zu organisieren. An der Leipziger Berufsschule, wo in den letzten Jahren auch ein Ruth-Pfau-Archiv aufgebaut wurde, liegt seit gestern ein Kondolenzbuch aus. In einer ersten Reaktion auf den Tod der Ordensfrau und Ärztin regte gestern die Stadtratsfraktion der Bündnisgrünen an: „Als Geburtsstadt sollte Leipzig ihrer und ihres Wirkens in würdiger Art und Weise gedenken.“

Angelika Raulien

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 11.08.2017