Alle Menschen mit gleichen Maßstäben behandeln

Christoph Wittwer (Kita „Um die Welt“) im Interview (Stadtteilmagazin Grün-As 1/2 2020)

Christoph Wittwer. Foto: Volly Tanner

Das Thema Kindergärten brennt förmlich in vielen Familien nicht nur auf den Nägeln. Christoph Wittwer, Kitaleiter der KiTa „Um die Welt“ Grünau des SEB Leipzig antwortete Grün-As. Schließlich gibt es Fragen über Fragen.

„Grün- As“: Was ist der SEB Leipzig
Christoph Wittwer: Der SEB ist der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe der Stadt Leipzig. Wir betreuen seit 1999 in verschieden Einrichtungen Menschen in unterschiedlichen Altersgruppen.

Was ist die Komplexkindertagesstätte „Um die Welt“?
Die Komplexkindertagesstätte „Um die Welt“ ist eine Einrichtung des SEB Leipzig, in der Kinder mit und ohne Beeinträchtigung in einem Haus betreut werden. Unser Ziel ist es, in Inklusion, interkultureller Vielfalt, mit Elementen der offenen Arbeit und familienergänzenden Angeboten eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft auf Augenhöhe zu leben.

Seit wann bist du Chef bei der KiTa „Um die Welt“ und was hast du wo davor gemacht?
Ich bin seit 1. Dezember 2018 Leiter der Komplexkindertagestätte „Um die Welt“ in Grünau Nord. Über 10 Jahre war ich als Erzieher und später als Kindheitspädagoge in einem Kinderheim und Kindergarten beschäftigt und kann diese Erfahrungen in die Leitungstätigkeit gut mit einfließen lassen.

Teil der gesellschaftlichen Entwicklung ist das Anspruchsdenken vieler Eltern – woran liegt der Wandel? Wie manifestiert er sich in deiner Arbeit? Was möchtest du dazu sagen?
Das gesellschaftliche Zusammenleben hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Eine gewisse „Ich“-Mentalität breitet sich immer weiter aus. Ansprüche von Eltern erwachsen meist aus der (Für)sorge für ihr Kind: Wird genügend gefördert? Gibt es genug zu trinken und zu essen? Aber auch Gewohnheiten, die das Kind zu Hause hat, sollen in der Kita entsprochen werden. Hier gehen die Wünsche entsprechend weit auseinander und einige Wünsche oder Anforderungen an uns lassen sich nicht erfüllen. Eltern sprechen uns auch mit verschiedenen Problemlagen an, die häufig keine Kinderprobleme und damit keine vorrangigen Aufgaben von Kindertagesstätten, sondern von Sozialarbeit sind. Auch hier tun wir natürlich unser Möglichstes. Eine Kindertagesstätte ist eben ein Spiegel der Gesellschaft und des Stadtteils in all seinen Facetten und Herausforderungen. Aus meiner Sicht funktioniert das Zusammenleben in der Kindertagesstätte „Um die Welt“ aus der Tatsache heraus, dass alle Menschen, egal welcher Nationalität oder gesellschaftlicher Stellung, mit den gleichen Maßstäben behandelt werden.

Werdet ihr von Politik in eurer Arbeit anerkannt? Wie und warum? Was kann man gegen die negativen Aspekte tun?
Eine Anerkennung unserer Arbeit durch die Politik ist nur bedingt zu erkennen. Die sozialen Berufe sind gern genommene Wahlkampfthemen. Eine nachhaltige Lösungsstrategie sehe ich bis heute nicht. Viel Geld ist vom Bund und den Ländern in das „Gute-Kita-Gesetz“ geflossen und dafür wird z.B. ein kostenloses „Kita Jahr“ in Thüringen, von welchem letztendlich nur Besserverdiener profitieren oder „Vor- und Nachbereitungszeit“ für Kita-Mitarbeiter/innen in Sachsen finanziert. Dies sieht auf dem Papier gut aus, nur hat es nichts am Grundproblem des Fachkräftemangels gelöst. Erschwert wird die Situation, durch unnötige Verwaltungsvorschriften z.B. bei der Anerkennung von Abschlüssen oder der Möglichkeit einer Einstellung von Tagesvätern bzw. -müttern als Unterstützungskräfte für den Krippenbereich.

Kita – Brenntitel der Gesellschaft – immer mehr und sofort – wo kommt das her? Was denkst du darüber?
Die soziale Frage macht immer mehr Menschen Angst und es wird immer mehr zu einem zentralen Thema für die Gesellschaft. Selbst Familien mit durchschnittlichen Einkommen haben Ängste vor sozialem Abstieg, Fragen nach bezahlbaren Wohnraum oder die Veränderungen der Arbeitswelt mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen vor einer Kindertagesstätte nicht Halt. Prof. Dr. Roland Lutz von der Uni Erfurt hat diese Gesamtproblematik unter den Begriff „Soziale Erschöpfung“ sehr passend zusammengefasst. Wenn Politik alle Menschen erreichen möchte, sollte sie aus meiner Sicht dringend handeln und ein Teil der Sozialleistungen umwidmen, um im ersten Schritt in den Kindergärten eine kostenlose Essensvollversorgung für alle Kinder anzubieten und somit eine soziale Teilhabe aller Kinder zu ermöglichen.


KiTa „Um die Welt“
Plovdiver Straße 50
04205 Leipzig

Städtischer Eigenbetrieb Behindertenhilfe
Tel.: 0341 420 33 40 12
Fax: 0341 420 33 40 09
E-Mail: umdiewelt-leitung@seb-leipzig.de
Website: www.seb-leipzig.de


Volly Tanner

Quelle: Stadtteilmagazin „Grün-As“ 1/2 2020