Themen:

Ein Bildungscampus mitten in Grünau

Initiative plant mit Hilfe der Universität eine Leipziger Modellschule am Allee-Center
(LVZ vom 06.11.2020)

Noch eine Wiese: die Fläche neben dem Allee-Center an der Offenburger Straße in Grünau. An dieser Stelle wollen Birgit Kilian, Bianca Wilmsmann und Gerlind Große (von links) mit ihrem Verein einen riesigen Bildungscampus in freier Trägerschaft aufbauen. Foto: André Kempner

Es ist eine große Vision: In wenigen Jahren soll in Grünau auf der Wiese neben dem Allee-Center an der Offenburger Straße ein Bildungscampus entstehen. Der Herzstück ist die Leipziger Modellschule – eine inklusive, sozialraumorientierte Gemeinschaftsschule, die ein Verein gemeinsam mit Bildungsexperten der Universität Leipzig entwickelt. Die wollen in einer Lehr- und Forschungsschule neue Konzepte zur Lösung der Herausforderungen des Bildungssystems entwickeln und erproben. Bereits zum Schuljahr 2021/22 können 48 Schüler starten – zunächst in einer angemieteten Büroetage in der zweiten Etage im Allee-Center. Mit Blick auf die Wiese, auf der der für 1000 Schüler konzipierte Campus entstehen kann.

„Wir wollen herausfinden, wie Schule gut gestalten kann – sozial gerecht und inklusiv in einem Stadtteil mit Herausforderungen“, erläutert Gerlind Große, die Initiatorin. Mit vielen Mitstreitern hat die Professorin für frühkindliche Bildung und Entwicklung den Verein Lebens- und Bildungsraum gegründet, der das Projekt seit 2017 vorantreibt. „Wir wollen den Kindern aus Grünau bessere Chancen eröffnen.“ Was heißt: Entstehen wird keine Schule in freier Trägerschaft für Eltern, die sich das leisten können. „Sie steht allen offen. Wir haben finanzielle Modelle entwickelt, um auch für jene attraktiv zu werden, die weniger Geld haben“, ergänzt Birgit Kilian, die künftige Schulleiterin. Ihr Wunsch ist, gleich als Gemeinschaftsschule zu starten, da der Gesetzgeber in Sachsen die Weichen dafür gestellt hat. Bis zum Abitur sollen dort alle Abschlüsse möglich sein.

Projekt startet im Sommer 2021

Der Start beginnt mit 48 Kindern, die in altersgemischten Gruppen (entspricht Klassenstufe 1-3 sowie 4-6) beginnen. 80 Bewerbungen liegen bereits vor. „Niemand muss sich in der vierten Klasse entscheiden, welchen Weg sein Kind künftig nimmt“, so Kilian, die bundesweit Schulen berät. Als Pädagogin hat sie aber auch am BIP-Kreativitätszentrum gearbeitet und das Evangelische Schulzentrum Muldental mit aufgebaut. Ihre Erfahrung: Viele Kinder, die in sozialen Brennpunkt-Vierteln leben, haben oft keine Chance auf einen vernünftigen Abschluss. „Wir wollen eine Schule für die Nachbarschaft sein und uns für den gesamten Stadtteil öffnen“, beschreibt Professorin Große das Ziel. Sichtbar wird dies bereits an einem Container neben dem Allee-Center. Dieser wird von Kindern und Jugendlichen gemeinsam mit Künstlerin Viktoria Scholz gestaltet – als niedrigschwelliges Angebot während der Kunst-Aktion „LieblingsOrte SelberMachen“. Der „LernLab“-Container soll künftig als Anlaufstelle oder für Spielenachmittage und Sonntagskaffee genutzt werden.

In der Modellschule, die viel Wert auf projektbezogenes, selbstbestimmtes Lernen sowie Inklusion und Sozialraumorientierung legt, gibt es täglich zwei verschiedene Blöcke, in der die Kinder schreiben, lesen und rechnen lernen – auf dem jeweiligen Niveau. Im zweiten Block können die an eigenen Themen (vom Fußball bis zu Harry Potter oder der Erforschung von Sternen) arbeiten, da jedes Kind spezielle Interessen hat. Nachmittags folgen individuelle Förderungen. „Wir gehen viel raus, um Themen und Phänomene zu entdecken“, so Kilian. „Die Kinder sollen auch lernen, sich durch Engagement für andere und für den Stadtteil verantwortlich zu fühlen.“ Fächer und Zensuren gibt es nicht. „Die Kinder sollen alles in einem natürlichen Kontext lernen“, so Professorin Große. Gemeinsam mit einem Start-up-Unternehmen werde aber ein digitales Lernstandsystem entwickelt, das erreichte Leistungen in Noten umrechnet. So wird möglich, dass Kinder auch bei Umzügen ihrer Eltern auf andere Schulen wechseln oder sich später bewerben können. Abgesichert sei, dass der vorgeschriebene Lehrplan vermittelt wird – doch meist nicht an Beispielen aus dem herkömmlichen Lehrbuch.

Verhandlungen mit der Stadt

Wie alle neuen freien Schulen muss das Projekt eine dreijährige Probephase bestehen. Erst dann hat sie Anspruch auf eine staatliche Förderung. Ist die bewilligt, kann auf der Wiese der Campus entstehen – möglichst mit Kita. Letzteres ist in Grünau allerdings schwierig, da es dort bereits genügend Kita-Plätze gibt. „Für unser Konzept ist eine Kita aber wichtig, um auch etwas bildungsferne Elternhäuser interessieren zu können. Außerdem werden in der frühkindlichen Entwicklung die Weichen gestellt“, so die Professorin an der Fachhochschule Potsdam. Dazu laufen bereits Verhandlungen mit der Stadt, die ebenso wie die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft die notwendigen Flächen bereitstellen wird. Das Liegenschaftsamt hat 2018 das Grundstück vorgeschlagen, das für die geplanten drei Lernhäuser samt Kita, Mensa, Bibliothek und Dreifeldsporthalle geeignet ist.

Investition von 50 Mio Euro

Dabei ist die Rede davon, etwa 50 Millionen Euro zu investieren und 120 Arbeitsplätze zu schaffen – vom Hausmeister über Küchenkräfte bis hin zu Erziehern und Pädagogen. „Das ist natürlich abhängig davon, ob wir Schulbau-Fördermittel bekommen“, so Große. Ganz allein könne der Verein sein Mammutprojekt mit Krediten nicht stemmen. Vorgesehen ist auch, Interessierten über eine Genossenschaft Anteile ab 300 Euro anzubieten.

Träger der Schule soll eine gemeinnützige GmbH werden, die derzeit in Gründung ist. Der Zuspruch für das Projekt sei groß – auch bei Lehrern und Lehramtsstudenten, die auch für weniger Geld unterrichten wollen. „Das zeigt, wie viel Druck im Bildungskessel ist“, so Kilian.

Mathias Orbeck

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 06.11.2020