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Nach der Schule ist Schluss mit Hotel Mama

Leipziger Azubi rät Absolventen der 94. Oberschule zum Auszug aus dem Elternhaus
(LVZ vom 01.04.2019)

Paul Hoffmann berichtet den Jugendlichen der 94. Oberschule von seinen persönlichen Erfahrungen, wie es ist, sich von den Eltern zu lösen und auszuziehen. Foto: André Kempner

„Viele Schüler haben Angst, das Nest zu verlassen“, beobachtet Kerstin Höche. Sie ist Deutschlehrerin an der 94. Oberschule. Ihre Schüler könnten sich in der Regel auf die Unterstützung von Mutti verlassen, um eine Krankenversicherung brauchten sie sich noch nie zu kümmern. „Bereits im Praktikum bekommen viele mit, dass der Umgangston in der Arbeitswelt rauer ist, dass Zuspätkommen nicht toleriert wird“, berichtet Höche.

Um die Schüler auf das Berufsleben vorzubereiten, organisiert sie daher einmal im Jahr einen Projekttag mit dem Motto „Fit für die Ausbildung“ für die Abschlussklassen. Eine Expertin der IKK bereitet die Jugendlichen auf den Umgang mit Prüfungsstress vor, bei der Berufsberaterin erfahren sie über ihre Rechte und Pflichten als Auszubildende.

Paul Hoffmann berichtet den Jugendlichen von seinen persönlichen Erfahrungen, wie es ist, sich von den Eltern zu lösen und auszuziehen. Der 20-Jährige studiert dual bei der Commerzbank. Mit 18 Jahren zog er von Pirna nach Sylt, um dort ein Freiwilliges Soziales Jahr bei einer Kirchgemeinde zu absolvieren. „Dadurch habe ich mich weiterentwickelt und bin selbstständiger geworden“, steht für Hoffmann fest. Seit September lebt er in Leipzig.

Hoffmann rät den Schülern der 94. Oberschule, sobald die Grundlagen dafür geschaffen sind, ihr Nest zu verlassen. „Die Eltern bleiben erreichbar, man redet dann eher über wichtige Dinge“, so seine Erfahrungen. Während Hoffmans 80-minütigem Vortrag gibt er den Schülern der zehnten und neunten Klasse Tipps für die WG-Gründung: Von der Wohnungssuche bis zum Vertrag mit dem Stromanbieter.

Die Jugendlichen der 10c hören gespannt zu. Einige haben bereits mit dem Gedanken gespielt, sich vom „Hotel Mama“ loszusagen. Etwa der 15 Jahre alte Leon, der nach dem Realschulabschluss die Fachoberschule besuchen möchte. Er plant, in den nächsten Jahren „auf eigenen Beinen zu stehen“. Sein Mitschüler Tom hat ähnliche Pläne. Der 17-Jährige will Sozialassistent und danach Erzieher werden. „Ich würde auch in Leipzig bleiben, aber eben ausziehen. Meine Mama unterstützt das“, sagt er. Tom fühlt sich durch den Projekttag gut vorbereitet für das Leben nach der Schule. „Ich weiß jetzt, was mich erwartet“, sagt er.

Paul Hoffmann rät den Schützlingen, sich zuerst eine Ausbildungsstelle, dann eine Wohnung zu suchen. „So könnt ihr mal neue Gewässer kennenlernen“, empfiehlt er. Die meisten Schüler der 10c planen ihre Zukunft allerdings zunächst in der Messestadt. Aber wenn man bedenkt, dass Frauen in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich mit knapp 23 Jahren, Männer mit über 24 Jahren von daheim ausziehen, sind die Absolventen der 94. Oberschule doch ganz selbstständig.

Theresa Held

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 01.04.2019