Familienkompass 2020: Familien fühlen sich in Leipzig wohl. Mit ihrer Wohnsituation sind sie dennoch nicht zufrieden. Woran liegt das? (LVZ vom 09.10.2020)
Ruhige Wohngegend. Grün vor der Haustür. Platz für Homeoffice, Hund und Kind. Im Optimalfall in der Nähe der Großeltern. Mit dieser Wunschliste machten sich Christiane Kunze und ihr Partner vor ein paar Jahren auf, den Leipziger Wohnungsmarkt zu durchkämmen. Sie wollten weg aus Grünau und rein in den Leipziger Westen oder Süden. Mehr Platz für die kleine Familie.
Fast fünf Jahre haben sie nach einem geeigneten Ort zum Leben gesucht. Heute sind sie Hausbesitzer „wider Willen“ und leben knappe 400 Meter entfernt von Leipzigs Stadtgrenze in Frankenheim, einem Ortsteil von Markranstädt.
Eine Geschichte, die Christiane Kunze zur Genüge aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu erzählen weiß. „Glückssache“ sei es, ein passendes Objekt zu finden oder in bestimmten Teilen überhaupt noch günstig zu leben.
Familienkompass 2020: Miete und Angebotsvielfalt
Die LVZ hat im Rahmen des sachsenweiten Projekts „Familienkompass“ zusammen mit Freier Presse und Sächsischer Zeitung einen genaueren Blick auf die Wohnsituation in der Messestadt geworfen. 1539 Leipzigerinnen und Leipziger mit Kind(ern) wurden befragt. Dabei ging es allen voran um das Thema Miete und die Angebotsvielfalt.
Was direkt auffällt: Die persönliche Odyssee der Familie spiegelt klar das Stimmungsbild der Umfrage wider. Schwierig ist die Situation vor allem in den Stadtteilen Plagwitz, Schleußig, Zentrum, Südvorstadt und Connewitz – dort, wo auch Christiane Kunze lange Zeit erfolglos suchte.
Wenig verwunderlich, dass Leipzig im Sachsenvergleich nicht gut aussieht. Mit einer landesweiten Gesamtnote von 3,48 liegt die Stadt mit 4,03 deutlich unter dem Durchschnitt und bildet so eines der Schlusslichter. Auffällig: Wo sich Leipzigs Familien am Wohlsten fühlen, steht es um die Zufriedenheit mit der Wohnsituation auffallend schlecht.
Für den Stadtsoziologen Dieter Rink ist das Ergebnis der Umfrage keine große Überraschung. Er beschäftigt sich schon lange mit dem Thema Wohnen in der Messestadt und sieht vor alle zwei Faktoren als entscheidend für die fortschreitende Anspannung des Marktes: „Wir haben zum einen den geringen Leerstand. Der ist auf unter zwei Prozent gesunken.“ Ein Anzeichen für eine Schieflage.
Günstig bauen immer schwieriger
Zum anderen gebe es zwar günstigen Wohnraum, aber dieser sei oft nicht sichtbar. Rink spricht in diesem Zusammenhang von einem internen Wohnungsmarkt. „Da geht es dann über Hörensagen und Kontakte.“ Dass es immer schwieriger wird, günstig zu bauen, komme noch hinzu. „Für Neubauprojekte liegt der Quadratmeterpreis bei über 10 Euro. Bei Sanierungen zwischen 8 und 9 Euro“, erklärt Rink.
Preise, die Christiane Kunze nicht bereit war zu zahlen: „Wir haben mit einem Budget von 1000 Euro angefangen. Und sind damit immer weiter nach oben. Aber dafür sollte dann auch alles stimmen.“ Gepasst hat es nirgendwo. Oft war der Hund K.O.-Kriterium oder die Wohnung auf einmal nur zum Kauf zu vergeben. In Grünau haben sie deshalb für einige Zeit sogar eine zweite Wohnung angemietet, um Privates und Arbeit besser trennen zu können.
Rasante Entwicklung, träger Wohnungsmarkt
Leipzig hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten rasant entwickelt. Zu schnell für den trägen Wohnungsmarkt. Von der „Hauptstadt des Wohnungsleerstandes“, so Rink, um die Jahrtausendwende hin zur am schnellsten wachsenden Großstadt Deutschlands. Die Situation hat sich gedreht.
Laut LVZ-Umfrage schlagen zwar vor allem der Süden, Teile des Westens und das Zentrum negativ aus. Die anderen Werte im Raum Leipzig sind jedoch alles andere als zufriedenstellend. Die einzige Ausnahme: Grünau mit einem Durchschnittswert von 3,1. Das Schlusslicht bildet die Südvorstadt mit einer Note von 4,44.
Stabiles Grünau, angespannter Süden
„Die Mietsteigerungen der letzten Jahre, die Sprünge in der Angebotsmiete – das alles konzentriert sich auf Gründerzeitviertel wie die Südvorstadt“, sagt Roman Grabolle. Er berät seit 2010 gemeinnützige Wohn- und Kulturprojekte und ist in der Initiative „Leipzig – Stadt für alle“ aktiv, die sich als Beobachter der kommunalen Wohnungspolitik und Berater versteht.
„Und das nimmt inzwischen solche Dimensionen an, dass manche Viertel für bestimmte Einkommensgruppen zu sind.“ Der Leipziger Wohnungsmarkt, so Grabolle, sei stark differenziert. „Da, wo die LWB (Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft) und die Genossenschaften bauen, ist es stabil. Deshalb sagen die Genossenschaften ja auch immer, dass es keinen angespannten Markt gibt. Aber nur weil es in Grünau funktioniert, heißt es nicht, dass es egal ist, ob es in der Südvorstadt brennt.“
Denn junge Familien, wie die von Christiane Kunze, seien mitunter darauf angewiesen, zentrumsnah zu leben. Da gehe es um die Erreichbarkeit der Kita und die generelle Bewältigung des Alltags. Trotzdem habe sich auf kommunaler Ebene einiges getan in der letzten Zeit – von der Konzeptvergabe bis zum Milieuschutz. Für weitere nachhaltige Veränderungen fehle ihm aber ganz klar die Unterstützung auf Landesebene.
Christiane Kunze hatte sich nie als Hausbesitzerin gesehen. Unterm Strich ist sie dennoch sehr zufrieden, so wie es jetzt ist. Sie fühlt sich wohl. Alt werden möchte sie in Frankenheim jedoch nicht. Wenn sie es sich aussuchen könnte, soll es am liebsten Richtung Küste gehen.
Familienkompass 2020 – Wohnen in Leipzig
Am Familienkompass haben sich nicht nur Familien beteiligt. Für die Auswertung der Daten zum Thema Wohnen wurden dennoch lediglich die Antworten von Leipzigerinnen und Leipzigern mit Kindern im Haushalt ausgewertet. entsprechende Abweichungen zur sachsenweiten Übersicht liegen somit darin begründet. Die zwei zentralen Fragen des themenkomplexes galten den Wohnkosten und der Angebotsvielfalt. Der Bewertungsrahmen lag zwischen 1 und 5 (Schulnoten). Vor allem in der Altersgruppe zwischen 30 und 50 wurde das Thema Wohnen kritisch betrachtet. Zudem bewerteten Frauen die Wohnsituation innerhalb der City schlechter als Männer.
Mehr Beiträge des Familienkompass auf www.lvz.de/familie/familienkompass
Lisa Schliep
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 09.10.2020