Am Lindenauer Hafen entsteht ab Sonntag der erste Neubau (LVZ vom 09.11.2018)
Ein Haus für zwölf Familien, das niemandem allein, sondern allen gehört: Das soll das OurHaus am Lindenauer Hafen werden. Seit 2016 plante die neu gegründete Genossenschaft OurHaus eG an ihrem Projekt, das neben den Wohnungen auch Platz für Gemeinschaftsräume bietet: Werkstatt, Musikraum, Sauna, Gästezimmer und Seminarraum mit geräumiger Terrasse und einem Garten. Diesen Sonntag beginnt mit dem ersten Spatenstich nun die Bauphase. Für den Genossenschaftsvorstand Holger Lubitz ist damit ein Meilenstein erreicht. „Das wollen wir mit allen Unterstützern richtig feiern.“
Die Genossenschaft verstehe sich als Teil einer Bewegung von kooperativen Hausprojekten, erläutert er. In Leipzig gebe es bereits Dutzende selbstverwaltete Objekte – bislang aber meist in Gründerzeithäusern. Da deren Preise zuletzt stark gestiegen sind, wage sich OurHaus als erstes Projekt an einen Neubau. Der kostet rund 3,5 Millionen Euro. Finanziert werde das durch Genossenschaftsanteile, Darlehen investierender Mitglieder sowie größere Kredite der UmweltBank sowie Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Einziehen sollen 23 Erwachsene und 15 Kinder. Ganz bewusst hatten sich die Gründer für eine Genossenschaft als Rechtsform und gegen eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) entschieden. Ihnen gehe es um eine lebendige Hausgemeinschaft, sagt Bildhauerin Agnes Lammert, die mit ihrer Familie einziehen wird. „Unser Gemeinschaftsraum wird der wichtigste Raum des Hauses. Er ist eine Art kollektives Wohnzimmer, wo man sich jederzeit treffen und auch Veranstaltungen für die Menschen des neuen Stadtteils am Hafen organisieren kann.“
Auch Teil-Modelle für Autos und Werkzeuge sollen folgen. Geplant wurde der Bau von den Architekten Robert Dix und Gordon Tannhäuser. Sie hatten bei einem Investoren-Wettbewerb der Stadt ein Baugruppen-Grundstück zum vergünstigten Preis gewonnen. „Als Architekt ist es sehr reizvoll, für eine Genossenschaft zu bauen“, sagt Tannhäuser. „Wir können hier ein klar gemeinschaftliches Konzept mit Räumen wie gemeinsamen Balkonen und Terrassen umsetzen. Das wäre bei einer Eigentümergemeinschaft viel komplizierter.“ Geplant sei eine Kaltmiete von 8,80 Euro pro Quadratmeter. „Das ist natürlich mehr Geld, als die Miete in einem Altbau-Wohnprojekt“, räumt Vorstand Lubitz ein. Dennoch sei es „weniger als bei Neubauten profitorientierter Investoren“ – zudem ein dauerhaft stabiler Preis.
Nicht weit weg – an der Merseburger Straße – hat die ebenfalls noch junge SoWo Leipzig eG schon zwei Gründerzeithäuser erworben. SoWo stehe für Solidarische Wohnungsgenossenschaft, sagt Tobias Bernet vom Vorstand. Solidarisch werde zum Beispiel das Eigenkapital finanziert: durch unverzinste Anteile und gering verzinste Nachrangdarlehen von Mitgliedern. Das seien immerhin schon rund 120, obwohl die SoWo erst 15 Wohnungen vermieten kann. Weitere 25 werden zurzeit saniert, zum Kauf von zwei bis drei weiteren, bereits bewohnten Häusern laufen Verhandlungen. Im ersten Haus, das die Vorbesitzerin aus Sympathie besonders günstig verkaufte, liege die Kaltmiete bei 4,80, im zweiten sollen es nach der Sanierung 6,50 Euro sein.
Jens Gerhardt vom „Netzwerk Leipziger Freiheit“ glaubt, dass kooperative Wohnformen eine große Zukunft in der Messestadt haben. Um den Mietenanstieg zu begrenzen, setze die Kommune nun auf Konzeptvergaben von Grundstücken. „Zum Beispiel eine Genossenschaft ist dann ideal, um sich dauerhaft bezahlbares Wohnen zu sichern.“ Allerdings sei der Aufwand zur Gründung einer eG recht hoch. „Deshalb haben wir mit Sonja Menzel eine Fachfrau in der Beratungsstelle, die darauf spezialisiert ist.“ Immerhin: Als den Bewohnern der Reichpietschstraße 13 unlängst drohte, ausziehen zu müssen, gelang es ihnen mit Hilfe des von der Stadt geförderten Netzwerkes, binnen zwei Monaten eine Genossenschaft zu gründen. Diese kauft nun das Haus, sucht dafür noch Unterstützer.
Jens Rometsch
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 09.11.2018